Zeitenwende im produzierenden Gewerbe

Unsere Zahl des Monats 09/2023

31.08.2023

Die deutsche Industrie befindet sich inmitten von Zeiten struktureller Umbrüche und sieht sich vor einer Vielzahl von Herausforderungen: Hohe Energiekosten, Inflation, Fachkräftemangel, lahmende Digitalisierung, Dekarbonisierung und die weltweite Entwicklung hin zu geoökonomischer Fragmentierung sind hier einige der prominenteren Beispiele. Die damit zusammenhängenden Transformationsprozesse gehen mit strukturellen Veränderungen in den Sektoren des produzierenden Gewerbes einher, welche sich anhand der Produktionsindizes beobachten lassen. Diese messen die monatliche Leistung des produzierenden Gewerbes und sind somit eine zentrale Kenngröße der konjunkturellen Entwicklung Deutschlands.

Die erste Abbildung zeigt die Entwicklung der Produktionsindizes für Vorleistungs- und Investitionsgüter sowie deren langfristigen Trend. Auffällig ist, dass die Entwicklung der beiden Kurven bei unterschiedlichem Niveau bis 2020 stark korreliert: Steigt die Produktion von Vorleistungsgütern, so steigt – zeitlich leicht versetzt – auch die Produktion von Investitionsgütern. Dies ist insofern stimmig, als dass Vorleistungsgüter (Rohstoffe, Fertigteile, Halbfabrikate etc.) benötigt werden, um Investitionsgüter (bspw. Maschinen, technische Anlagen und Fahrzeuge) zu produzieren. Werden bei einem wirtschaftlichen Aufschwung also mehr Investitionsgüter nachgefragt und produziert, so müssen für deren Produktion ceteris paribus zunächst mehr Vorleistungsgüter produziert werden – vice versa in Phasen wirtschaftlichen Abschwungs. Zur besseren Vergleichbarkeit zeigt die zweite Abbildung nur die Abweichung der Indizes von ihrem langfristigen Trend.

Interessant ist, dass sich der enge zyklische Zusammenhang der Produktion von Vorleistungs- und Investitionsgütern mit Anfang des Jahres 2021 aufgelöst und sogar umgekehrt hat.

Die Ursachen hierfür sind unklar. Ein Grund könnten Effizienzsteigerungen im Wirtschaftskreislauf sein: Optimiert Unternehmen A seine Produktion und bezieht daher weniger Vorleistungsgüter von Unternehmen B, so fragt auch Unternehmen B unter gleichen Umständen weniger Vorleistungsgüter von Unternehmen C nach und so weiter. Neben dieser internen Dynamik könnten auch externe Faktoren wie gestiegene Energie- und Rohstoffpreise eine Rolle spielen. Die Verlagerung der Vorleistungsgüterproduktion ins Ausland als Reaktion auf diese Preisanstiege könnte dazu führen, dass diese Güter nun importiert werden, was wiederum die Produktionsindizes beeinflusst.

Obwohl die genauen Ursachen für diese Entwicklungen aktuell noch nicht bekannt sind, bleibt anzunehmen, dass die Nachfrage nach neuen, effizienteren Investitionsgütern im Rahmen der fortlaufenden Transformation der deutschen Industrie hin zur Klimaneutralität weiterhin steigt. Der markante Abstand zwischen den Produktionsindizes für Vorleistungs- und Investitionsgüter deutet jedoch auf einen tiefgreifenden Strukturwandel hin, der sich innerhalb der deutschen Industrie vollzieht.
 

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